Ich erinnere mich noch gut. Im Arbeitskontext, so um die 2010er Jahre, schrieb ich einen Text und hatte bewusst den gender_gap eingeschlossen. Von der Person, die Korrektur las, wurde es als Rechtschreibungsfehler rot angekreidet. Interessanterweise – trotz meiner Schreibwiederholungen – kam die gegenlesende Person nicht auf den Gedanken, dass es kein Fehler sei.
Mittlerweile ist der genderStern* fast aufgebraucht.
Was meine ich damit?
Der Stern ist ein wenig zum Automatismus geworden, wo unklar und unsichtbar bleibt, inwiefern die Personen, Institutionen und Organisationen, die es verwenden, tatsächlich eine individuelle, strukturelle und organisationsprozess-orientierte Auseinandersetzung geführt haben.
Das kann sehr heikel sein für Menschen, die immer wieder unter heteronormativen Zwängen ausgegrenzt und ungesehen bleiben. Heteronomativität als Fachbegriff bezieht sich nicht auf Begehren oder Geschlechtlichkeit. Es bezeichnet ein gesellschaftliches Ordnungssystem, was hierarchisch wirkt und funktioniert. Also es ist viel weitreichender und komplexer als ein individuelles Konzept von Begehren oder Geschlechtlichkeit.
Es spiegelt ein gesamt-gesellschaftliches Wertesystem, in dem nur zwei Geschlechter und heterosexuelles Begehren als normal klassifiziert werden.
Alles, was sich nicht in das Wertesystem einpasst, wird als abweichend eingruppiert und wahrgenommen. D.h. abweichend von der geltenden Norm. Dieser gesellschaftliche Mechanismus kann wiederum als „othering“ bezeichnet werden. Das „Anders-sein“ wird immer mit „Normal-sein“ als Gegenpol kontextualisiert – also immer abweichend vom geltenden Wertesystem stigmatisiert.
Um hierarchische Wertesystem, die in normal und abweichend einteilen, erhalten zu können, braucht es Sanktionen. Sanktionen können weichere und härtere Formen annehmen – im Kern geht es um die „Zurechtweisung“ und dass Abweichungen einen gesellschaftlichen Preis haben, der den Menschen in der freiheitlichen Gestaltung diskriminiert, ausgrenzt, beschneidet und unsichtbar macht.
Menschen, die sich an das geltende Wertesystem binden und es es im Alltag leben, bestimmen häufig auch darüber, wer dazu gehört und wer nicht – ebenso braucht es hier keinen gesellschaftlichen Kampf um Sichtbarkeit. Sichtbarkeit, Privilegien, genügend gute Räume sind bereits vorhanden, denn er gehört automatisch dazu und wird nie als Abweichung von der gesellschaftlichen heteronormativen Norm wahrgenommen.
Um Vielfalt nicht auf eine nächste neue Zielgruppe im Sinne eines konsumierenden Menschen zu reduzieren und den Kreis von teilnehmenden Menschen für die eigenen Angebote im Geiste wirtschaftlicher Interessen erweitern zu können, braucht es Auseinandersetzungen.
Manchmal scheint es mir dann sogar klüger, in einer binären Sprache zu verweilen, solange die Organisationen und die darin interagierenden Menschen kein Bewusstsein für das Aufbrechen von Binarität entwickelt haben, was eben nicht abweicht von der Norm und „Anders-sein“ nur im Gegenzug zu „Normal-sein“ kontextualisiert und einordnet.
Stern, gender_gap und doppelter Punkt (und es gibt so viel kluge Menschen, die sich mit geschlechtsneutralen Pronomen und non-binärer Sprache auseinandersetzen) sind keine Automatismen.
Hier noch ein Lesetipp:
Zur Entwicklung von sprachlichen Kennzeichnungen, die alle samt immer darauf zielten Heteronormativität zu durchbrechen und Raum für alle zu schaffen:
Intersektionalität wiederum als Fachbegriff bezeichnet das Überschneiden und Zusammenwirken von verschiedenen Diskriminierungsformen. D.h. Ein Mensch vereint in sich immer viele verschiedene Eigenschaften und hier kann es zu Überschneidungen kommen. Was bedeutet, dass ein Mensch wegen mehrerer Eigenschaften als abweichend von der Norm klassifiziert und gesellschaftlich benachteiligt wird.
Das lässt auch den Schluss zu, es gibt keine diskriminierungsfreien Räume. Ein Ziel kann es wohl eher sein, was auch zu erreichen ist, diskriminierungsarme Räume zu schaffen und zu erhalten.
Und wer weiß, vielleicht wird die Utopie auch wahr und es werden diskriminierungsfreie Räume existieren.
Hörtipp Interview mit Dr. Amma Yeboah: